Ich weiß gar nicht so genau, wann das mit dem Trinken angefangen hat. Als ich Teenager war, nervte es mich, welchen Stellenwert Alkohol hatte. Ich war zufrieden mit meiner Cola in der Disco. Ich konnte auch ohne Alkohol Spaß haben. Irgendwann aber schlich sich der Alkohol ein. Als Studentin habe ich dann die üblichen Parties gefeiert. Verkatert in der Vorlesung zu hängen war cool und Teil des Konzepts. Die Arbeit in einer Kneipe untermalte das. Nach der Schicht nach Hause fahren und schlafen? Wie langweilig. Nach der Schicht hinter dem Tresen wechselte ich die Seite und vertrank mein verdientes Trinkgeld.
Als ich in Schottland lebte, wurde der Alkohol fixer Bestandteil meines Lebens. Und während ich einerseits kritisch das Sauftum dieser dortigen Kultur betrachtete und viele sehr alkoholkranke Menschen erlebte, vor allem im Arbeitsumfeld, trank ich selbst mittlerweile regelmässig und viel. In Österreich begrüßte ich die gute Weinkultur, schimpfte aber auf die lächerllichen Achterl, die man ja in nullkommanix weggesoffen hatte.
Kurze Pausen gab es dann nur während der Schwangerschaften und Stillzeiten. Wobei selbst hier (in der zweiten und dritten Schwangerschaft) das eine oder andere Glas “erlaubt” war. Darauf bin ich alles andere als stolz. Es ist mir peinlich, ich habe das noch nie offen zugegeben, aber ich denke es zeigt, wie abhängig ich damals schon war. Ich schäme mich unfassbar dafür.
In der Beziehung zu meinem Exmann gehörte Alkohol irgendwann zum Alltag. Abends zusammensitzen konnten wir nur noch mit Rotwein oder Bier. Ein Abend ohne wurde die pure Seltenheit und am Wochenende war eine Flasche Wein das Minimum am Abend. Wenn ich zurückdenke, wie ich in die Erschöpfung rutschte und dabei zusätzlich meinen Körper mit Alkohol fütterte, wundert mich nichts mehr. Auch nicht, dass wir uns immer mehr entfremdeten. Der Alkohol war unsere Verbindung, aber nüchtern waren wir zwei Menschen, die im selben Haushalt lebten. Das ist kein Vorwurf an den Exmann, denn ich war daran genauso beteiligt. Erst kurz vor unserer zweiten und endgültigen Trennung traf ich das erste Mal den Entschluss mit dem Alkohol aufzuhören. Silvester 2019/2020 trank ich um Mitternacht allein auf dem Balkon einen Whisky. Damit verabschiedete ich meine Ehe und mein Trinken. Das hielt ich einige Wochen durch. Dabei war ich ausschließlich umgeben von Menschen, die das nicht verstehen konnten. Also zum einen das ende der Ehe, am meisten aber die Abstinenz. So viel hätte ich doch gar nicht getrunken, meinten sie. Und es stimmte vielleicht. Im Vergleich zu den klassischen Alkoholikern brauchte ich keinen Alkohol am Morgen und war auch nicht regelmässig sturzbetrunken. Aber ich trank regelmässig und am Wochenende meist so viel, dass ich es am nächsten Tag spürte.
Ich war nicht immer mega verkatert. Aber ich war nicht in der Lage klar zu denken, konzentriert zu arbeiten oder zu kalligrafieren. Ich hatte Kopfweh und einen bitteren Nachgeschmack. Ich war müde, denn der Alkohol ließ mich schlecht schlafen. Es waren in der Tat an den Alkohol verschenkte Tage.
Bald hatte ich wieder einen Partner, der ebenfalls nicht übermäßig, aber eben doch gern etwas trank und wenn ich ihm das ja nicht verbieten konnte, so führte es natürlich schnell dazu, dass ich meine Abstinenz stoppte und wieder begann zu trinken. Doch so sehr ich mir auch fest vornahm mein Trinken zu kontrollieren, umso schwerer fiel es mir. Und genau das war immer mein Problem. Ich konnte nicht ein Glas Wein trinken. Ein Achterl war nichts für mich, das war die Vorspeise. Danach bekam ich erst richtig Lust auf mehr. Und wenn eine Flasche Wein dem Ende zuging, überprüfte ich schnell, ob noch genug Alkohol da war um weiterzutrinken. Was sonst sollte ich trinken?
Ich war mir dieses Trinkverhaltens immer bewusst und ahnte, dass es für mich nur den Weg der Abstinenz gab. Weil die Kontrolle mit dem ersten Schluck verloren war. Aber ich fürchtete sie auch sehr, denn ich konnte mir ein Leben ohne Alkohol einfach nicht vorstellen.
Menschen, die so gar nichts tranken, waren in meiner Welt immer langweilig. Sie waren nicht ausgelassen und lustig, feierten nicht und waren unfassbar vernünftig. Dass all das nur in meiner Vorstellung den Tatsachen entsprach, ist klar. Aber man redet sich die Welt eben so zurecht, wie man sie haben will. Wer nicht vegan leben will, redet sich auch ein, davon nicht satt zu werden (ich zum Beispiel). Dabei fehlt ihm (mir also) nur die nötige Motivation sich mit dieser Ernährungsumstellung zu befassen und entsprechende Änderung im Alltag zu implementieren.
Ich mochte die Nadine, die beschwipst war. Sie war ausgelassen und fröhlich. Sie war leicht und ging auf andere Menschen zu. Was ich nie in Betracht zog war, dass es diese Nadine auch nüchtern geben könnte. Und dass sie vielleicht viel cooler wäre. Die betrunkene Nadine mochte ich nie, vor allem am nächsten Morgen nicht, wenn mir einfiel, was ich geredet hatte im Suff, wem ich was erzählt hatte und wie ich mich verhalten hatte. Es ist nicht so, dass ich Filmrisse gehabt hätte, lauten Streit oder mich nackt ausgezogen hätte. Aber ich redete viel und ungefiltert. Über mich, über andere und ich plapperte unreflektiert drauflos. Wie oft mir das peinlich war im Nachhinein und ich mich für mich selbst schämte, kann ich kaum mehr zählen. Aber die beschwipste Nadine gab es nicht ohne der Betrunkenen. Denn der Kontrollverlust führte von einer zur anderen.
Als ich das letzte Mal verkatert aufwachte, war es mir peinlich so neben meinen Kindern zu liegen. Ich fürchtete mich vor dem langen Tag, der vor mir lag. Ich wollte nicht zuständig sein und mich um etwas kümmern müssen. Ich wollte, dass der Tag schnell vorbei war und ich wieder schlafen konnte. Und ich hasste mich dafür. Die Gedanken um das Ende vom Alkohol kreisten wieder durch meinen Kopf. Natürlich, das taten sie ja bei den meisten an solchen Tagen. Aber ich hörte nicht auf darüber nachzudenken. Ich wusste, dass es mein einziger Weg war.
So viele Zeit und Energie hatte ich in den letzten Wochen und Monaten in mich selbst investiert. Hatte an mir gearbeitet und mehr und mehr dafür gesorgt, dass ich mich selbst mehr akzeptierte, mehr schätzte, mehr liebte. Dass ich mir selbst endlich glaubte, dass ich so, wie ich war, gut genug war. Dennoch war diese tiefe Traurigkeit in mir und das Gefühl vom Unglücklichsein. Mal mehr, mal weniger. Der Alkohol, den ich gern verwendete, um es auszublenden, untermalte das stattdessen und zeigte mir neblig farbenfroh, was ich nicht sehen wollte. Dass ich süchtig war und ein Problem hatte. Eines, um das ich herumschlich.
Die Tatsache, dass ich mir ein Leben ohne Alkohol nicht vorstellen konnte, war plötzlich so ein deutliches Zeichen, um das ich nicht mehr herumschleichen konnte. Die Vorstellung, mich zu verlieben und einen Mann völlig nüchtern und klar kennenzulernen und mich “ganz nüchtern” zu zeigen, schien mir unvorstellbar und gleichzeitig war ich schockiert darüber, dass ich glaubte, ohne Alkohol nicht offen und ich selbst sein zu können. Wollte ich wirklich wieder eine Beziehung eingehen, die von Anfang an auf Alkohol baute? Wenn ich so voller Selbstliebe sein wollte, ging es nicht gerade dann darum, dass ich mich auch vollkommen klar und nüchtern liebte und mich auch genau so zeigte? Vielleicht – und das war der schönste Gedanken in all den Schleifen, die ich abgraste – konnte ich mich endlich genau so, wie ich wirklich war, verlieben und eine Beziehung eingehen, die tiefer und glücklicher sein könnte, gerade weil man nichts trank und sich nicht auf das sichere Sofa Alkohol verließ?
Und auf einmal stellte ich mir vor, wie ich glücklich sein konnte. Glücklich nüchtern. Glücklich klar. Glücklich ich selbst. Und ich wusste, dass das vermutlich der wesentliche Schritt war. Dass ich hier jetzt die Chance hatte, auf das andere Boot umzusteigen und eine komplette Wendung zu nehmen.
Die Entscheidung fiel mir nicht leicht. Ich haderte sehr mit mir. Mehr und mehr Situationen kamen mir in den Kopf, an denen ich doch aber trinken müsste, was ich wohl sagen würde, warum ich plötzlich und ob die Menschen mich nicht für verrückt halten würden. Ich haderte damit, ob ich wirklich so radikal sein müsste. War es wirklich so schlimm? Aber je mehr ich haderte, umso klarer wurde mir, dass es wirklich so schlimm war. Denn auch wenn ich vielleicht noch keine körperlichen und keine deutlichen psychischen Schäden vom Trinken hatte, sollte ich wirklich solange weitermachen, bis ich die haben würde? Ein absurder Gedanke. Und dann habe ich die offene Flasche Weißwein aus meinem Kühlschrank geholt und in die Spüle gegossen. Das tat weh. Der hat ja Geld gekostet. Den könnte ich ja noch jemandem anbieten. Und was, wenn ich es mir am nächsten oder übernächsten Wochenende anders überlegen würde? Und dann lachte ich über mich selbst und schüttelte den Kopf. Genau deshalb, dachte ich, genau deshalb. Und dann schüttete ich ihn weg.
Es ist nicht leicht in unserer Gesellschaft nichts zu trinken. Ich werde mich viel erklären müssen. Aber die ersten Male, die ich es schon “musste” (ich weiß, ich muss nichts, aber im Moment will ich noch), half mir das auch mir selbst immer und immer wieder klarzumachen, warum ich diese Entscheidung getroffen hatte. Und wie richtig und wichtig sie war. Für mich. Für mein Leben. Und für das meiner Kinder.
All das hier offen und ehrlich aufzuschreiben ist schwierig. Ich schäme mich für mich selbst. Aber ich weiß, dass ich mit all dem überhaupt nicht allein bin, denn ich war ja den ganzen Weg bis hierher nicht allein, viel mehr von Menschen umgeben, die mich in meinem Verhalten bestärkten und unterstützten. Nein, sie sind nicht alle so süchtig wie ich, aber ich glaube viele schon und viele machen sich genauso etwas vor wie ich es getan habe. Es ist nicht mein Auftrag, sie zu bekehren, das würde auch nicht funktionieren. Aber ich denke je offener und ehrlicher wir anfangen über Alkohol zu reden, umso eher können wir dafür sorgen, dass wir ihn als eine ebensolch gefährliche Droge sehen, die er ist. Und nicht mehr nur als Feierabendgenussmittel unserer Gesellschaft.
Ich habe Angst. Ich bin zuversichtlich. Und ich freue mich darauf, so viele Erlebnisse nüchtern und klar zu haben. Ein bunter Cocktail an Emotionen. Aber wenigstens ist er alkoholfrei.