Die meisten Tage gehe ich fröhlich durchs Leben. Einigermaßen fröhlich. Zumindest fröhlich genug um zu wissen, dass ich nicht allein bin, dass ich es wirklich gut habe. Ich habe meine süßen, coolen Nasen, ich habe tolle Freund*innen, sehr viele wertvolle Nachbar*innen und eigentlich ist alles schön, so wie es ist.
Und dann kommen diese Momente daher. Einfach so. Ich gehe von einem Abend mit einer Freundin nach Hause. Im Kopfhörer Depeche Mode, weil ich die 80er Playlist laufen habe und Depeche Mode sowieso geil sind. Ich gehe durch den Park, den beleuchteten Weg, der mit den meisten Laternen, es ist ja doch spät und ich bin eine Schisserin im Dunkeln. Das war ich schon immer oder zumindest, seitdem du nicht mehr da bist. Nein vorher schon, ich erinnere mich. Und nach jeder Laterne, an der ich vorbei gehe, taucht mein Schatten vor mir am Boden auf und wandert dann wieder zurück. Taucht wieder auf und wandert wieder davon. Für einen Moment bleibe ich stehen und sehe mich an, meinen Schatten, wie er da vor mir liegt. Allein. und die Musik im Ohr, die trägt ihre Erinnerungen mit sich, das tut sie immer, aber nicht immer trifft sie mich. Doch heute schlägt sie zu und zeigt mir: Du bist allein. Du warst mal zwei, jetzt bist du allein. Und es tut weh. Es tut weh, wie es das immer wieder tut, egal wie viele Jahre vergehen und wie lange ich die Tatsache kenne, dass ich allein bin. Auch wenn ich nicht allein bin.
Du warst de Bruder, der einfach für mich da war, der die ersten Jahre meines Lebens mein enger Vertrauter, der mich zum Lachen gebracht hat wie sonst niemand. Auch beim Abendessen, wenn Mama schon sauer war, weil wir nur gekichert haben und nicht in Ruhe gegessen. Da hast du mich immer wieder neu zum Lachen gebracht, bis Mama geschimpft hat, weil sie vielleicht einfach einen schlechten Tag hatte und ihre Ruhe wollte. Ach, wir haben so viel gelacht. Klar hast du mich auch zur Weißglut gebracht. Und wie. Du kanntest jeden meiner Knöpfe. Das war dein Job als großer Bruder.
Und jetzt bist du eben nicht mehr da. 29 Jahre schon bist du nicht mehr da und ich weißt das tagein tagaus. Aber da sind eben genau diese Momente. Die mich einfach einholen. Überraschen und mir einen Seitenhieb verpassen. Mir zeigen: Ich bist allein.
Abends im Bett kann ich dir davon erzählen, aber das muss ich nicht. Du bist ja immer bei mir, weißt immer, wie es mir geht. Aber es tut gut zu hören, dass auch du mich vermisst. Dass du das Leben hier unten vermisst. Und mich gern in die Arme nehmen würdest, weil du das eben nicht kannst, wenn du neben mir hockst und mir zuhörst. Weil du nur diese durchsichtige Hülle bist, mit der ich rede über alles, worüber ich sonst mit niemandem rede. Du bist immer da. Aber allein bin ich trotzdem.