Tag 31 :: Nur die Liebe

Man kann mich für sehr naiv halten. Für hoffnungslos optimistisch oder endlos blöd. Aber ich bin wirklich überzeugt davon, dass dieser Virus, der uns hier alle die letzten Jahre in Schach gehalten hat, eine Chance war.

Er war unsere Chance endlich zu erkennen, dass wir dringend das Steuer rumreißen müssen. Dass wir wegkommen müssen vom ewigen Rennen und Rudern in einer Leistungsgesellschaft, die vor sich selbst davonläuft. Wir hatten die Chance endlich drei Gänge zurückzuschalten. Ich höre noch heute das ewige Seufzen, das durch die Welt ging, als plötzlich nach und nach alle Länder stillstanden. Als die Flüge auf den Flughäfen ruhten, die Menschen in ihren Wohnungen festsaßen und nichts mehr mussten, weil sie nichts mehr durften. Ja, es war eng und zuweilen beängstigend, aber so viele Menschen atmeten auf, weil sie plötzlich das tun konnten, wozu sie nie Zeit hatten.

Die Welt atmete auf und sie hätte durchatmen können, wenn wir die Chance am Schopf gepackt hätten. Aber alles, was die Menschen wieder wollten, war zurück. Zurück zur Normalität, die so dermaßen abnormal war, dass es weht tut. Kaum sperrten die Geschäfte wieder auf, rannten alle los und kauften Zeug, von dem sie glaubten, es würde ihre Freiheit darstellen, die sie gerade einbußen mussten. Dabei kauften sie nur Dinge, die ein Gefühl der Leere stopften, dem sie nicht standhalten konnten. Weil es ungewohnt war. Neu und bedrohlich.

Und jetzt rennen wir zurück in dieses alte Leben und wundern uns.

Wundern uns, dass wir so endlos müde und erschöpft sind.

Wundern uns, dass das Klima immer kaputter wird.

Wundern uns, dass die Menschen sich so sehr anfeinden und gegenseitig fertig machen.

Und während wir uns wundern, lachen sich die da oben kaputt. Hauen sich die Taschen voll. Führen Kriege, weil ihnen jemand nicht genug vom Teller voll Gummibärli abgegeben hat. Bestimmen absurde Richtlinien und Vorschriften. Sie treffen Entscheidungen, die unseren Planeten noch mehr ruinieren, die uns als Gesellschaft noch mehr auseinander spalten. Schütteln sich die Hände und lachen höhnisch.

Es ist zum Verzweifeln und ich gebe zu, dass ich hin und wieder verzweifle. Ich möchte diese Menschen “da oben” schütteln, bis ihnen ihr Kopf zur Seite hängt und sei doch endlich begreifen. Wohlwissend, dass das nie passieren wird, denn ihre Realität ist eine so andere als meine.

Also überlege ich immer wieder. Was ist es, was ich wirklich tun kann? Was ist hilfreich? Und es kommt immer auf das Gleiche raus: Liebe.

Herrje Nadine, das klingt so unfassbar platt. Als würde Lichtnahrung und Liebe alles richten. Nein, das tut es nicht. Das weiß ich. Aber Hass hat uns noch nie weitergebracht. Ich kann mich nur in meinem Umfeld bewegen und trotz allem freundlich sein und den Menschen wohlwollend begegnen. Wenn ich meinen Hass, meine Wut, meinen Grant und meinen Unmut, meine Verzweiflung und meine Angst jetzt nehme und allen anderen Menschen da draußen umhänge, dann werden sie nicht rufen: “Oh ja, du hattest recht, stimmt. Entschuldige bitte!” Nein, sie werden sich wehren, werden hassen und genauso um sich schlagen.

Ich kann also nur das Gute verbreiten, das ich in mir trage. Das Wissen, was ich habe, weitergeben. Kann nur meine Kinder lieben und dafür sorgen, dass sie keine solchen Menschen werden wie die es sind, die für all das verantwortlich sind, was gerade geschieht. Ich kann denen helfen, die es brauchen. Weil sich andere zu viel nehmen. Ich kann still protestieren, anstatt laut aufzuschreien und andere Menschen anzupöbeln oder zu bedrohen bis in den Tod.

Ich bin heute sehr verzweifelt. Aber ich lasse mich nicht vom Hass leiten, ich lasse die Ängste nicht über mich kommen. ich werde immer wieder hinaus gehen in die Welt und überall da Gutes tun, wo ich hinkomme und was ich erreichen kann. Ich kann mich informieren, und zwar dort, wo die Quellen seriös sind. Das ist nicht schwer herauszufinden, aber ich weiß, dass es Telegramkanäle nicht sind.

Es scheint nicht viel, was wir zuweilen tun können. Und dennoch ist es nicht nichts. Und wenn wir uns zusammentun mit Menschen, die ebenfalls ein bisschen tun, dann können wir mehr werden und viele.

Ja, vielleicht bin ich naiv. Vielleicht bin ich hoffnungslos optimistisch oder endlos blöd. Aber ich habe drei Kinder. Ich kann es mir nicht erlauben mich zu ergeben und zu verzweifeln.

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