Aufhören zu wollen

Erfolg. Ein Ferienhaus im Grünen. Eine Wohnung in einer anderen Großstadt. Ein Auto. Oder gleich einen VW Bus. Reisen. Reichtum. Irgendwas davon wollte ich immer. Manchmal am liebsten alles auf einmal. Und dann zerfiel ich wieder, weil nichts davon auch nur annähernd möglich schien. Mein Unterbewusstsein habe ich infiltriert mit allen möglichen Visionen, war doch wieder nur verzweifelt, weil sich keine so richtig echt und nach mir anfühlte.

“Du musst es fühlen!” sagen alle. Aber ich fühlte nichts. Ich fühlte mich nicht reich oder frei, schon gar nicht erfolgreich. Von der Dankbarkeit ganz zu schweigen. “Was stimmt mit mir nicht?” fragte ich mich oft und war froh, als mir eine Freundin verriet, dass auch sie keine Visionen hatte. Sie sah sich nicht in der Zukunft. Weder in einem noch in 10 Jahren. Diese Vision, von der alle reden – wir hatten keine.

Heute früh nahm ich meinen Kaffee und setzte mich in Ruhe aufs Sofa. Ich hatte noch 5 Minuten, bis ich das Frühstück richten, die Kinder wecken, die Jausenboxen befüllen musste. Fünf Minuten, bevor mich der Alltag wieder einnehmen würde. Und ich tat das, von dem alle, die sich mit Visionsarbeit beschäftigen, abraten: Ich reiste zurück in meinem Leben. Anstatt mich in meine aufregende und spektakuläre Zukunft zu katapultieren, in der Hoffnung da einen Vorgeschmack auf Erfolg und Reichtum zu bekommen, wanderte ich zurück bis zum ersten Studium. Und machte eine spannende Entdeckung…

Immer, wenn ich auf meinen Bauch gehört habe, wenn ich die Hände vom Steuer genommen und beobachtet habe, hat sich alles so gefügt und ergeben, wie es sollte. Jede Entscheidung, die ich damals getroffen habe, war von innen her gesteuert. Ich hatte nie die Vision davon, was ich studieren würde oder dass ich unbedingt mal im Ausland leben wollte. Ich tat diese Dinge einfach, weil sie sich gerade vor mir auftaten. Die Ideen trafen mich, weil Begegnungen und Erfahrungen mich dahin lenkten. Und ich folgte, wenn mein Inneres “Ja!” rief. Nach England. Nach Schottland. Nach Edinburgh (ganz klar, auf keinen Fall Glasgow! Obwohl ich weder noch kannte, ich wusste es einfach). Ich nahm Jobs an, verließ die wieder, suchte neue. Und landete dann in Wien. Hier startete der neue Lebensabschnitt. Die Familie. Meine zauberhaften Kinder. Eines mehr als ich “geplant” hätte. Weil mein Leben nicht nach Plan verläuft. Niemals tat es das. Niemals wird es das.

Als wir am Standesamt saßen um die Hochzeit zu besprechen, blickte ich auf das Buch der Eheschließungen. 50% davon würden wieder geschieden werden, dachte ich. Rund. Ungefähr. Und wir würden eine davon sein. Ich wollte das nicht. Ich dachte es kurz und verwarf den Gedanken. Heiratete. Und wurde eine von den 50%, die es nicht schafften. Falsche Entscheidung? Nein, niemals. Eine Erfahrung, die zu mir gehört und die ich machen musste. Davon bin ich überzeugt.

Es war zu der Zeit, dass ich begann in meinem Leben unbedingt etwas zu wollen. Denn ich hatte ja alles, was ich mir bis dahin so vage vorgestellt hatte. Kinder wollte ich immer, das war klar in mir drin. Daran bestand kein Zweifel. Eine Familie. Aber sonst wusste ich nicht wohin mit mir. Was wollte ich wirklich? Und je mehr ich im Muttersein versank, umso mehr rang ich mit mir und drehte mich in alle Richtungen, weigerte mich nur diese eine Rolle zu bespielen. Da ist doch mehr in mir. So viel mehr. Also fing ich an, wonach mein Herz schaute. Ich griff in alle Richtungen und versuchte jemand zu werden, die ich nie sein würde. Ich begann aktiv schrauben zu wollen an meiner Zukunft, an meinem Leben. ich hatte keine Geduld zu warten und kein Vertrauen mehr. Es war mir im Strudel meines wirren Alltags abhanden gekommen. Ich hatte mit den Kindern den Zugang zu mir selbst verloren. Ich habe gekämpft. Richtig viel gekämpft. Das war so hart und so brutal. Die Scheidung ein Schlag in meinen Magen. Leben im Stillstand. Gleichzeitig wollte ich weiter, immer weiter und mir und allen anderen beweisen, dass ich mehr kann. Noch immer wollte ich. Mehr. Anderes. Hoch hinaus.

In den letzten Wochen habe ich aufgehört zu wollen. Ich habe einfach mal nur geschaut. Ein Grund dafür ist die Wohnungssanierung, die hier ansteht. Ich muss für 4 Wochen meine Wohnung komplett räumen, das nimmt gerade jeden Moment in Anspruch, ich muss alles packen und verräumen. Ich habe keine Zeit für anderes und das tut mir gut. Ich kann einfach nur mal schauen. Mich treiben lassen. Und plötzlich lache ich wieder mehr. Tanze durch die Wohnung.

Ich muss nichts.

Ich will nichts.

Ich bin einfach.

Und das schönste ist: Ich habe tiefstes Vertrauen. Vertrauen, dass, wenn ich loslasse, sich wieder alles fügt. Ich gebe dem Leben und mir wieder mehr Raum, Luft zum Atmen und lasse auf mich zukommen, was kommt.

Ich mache keine Pläne mehr. Ich visualisiere nicht mehr. Denn ich weiß, dass da keine klare Vision ist. Das Leben kommt auf mich zu. Das hat es immer, wenn ich ihm den Weg dazu freigehalten habe. Wenn ich nicht versucht habe zu richten und zu tun. Wenn ich einfach nur gewartet habe und geschaut.

Das tue ich jetzt. Ich bin einfach. Räume weiter meine Wohnung leer, etwas wovor ich ewig Schiss hatte, denn dass eine Sanierung kommt, war klar, die Frage war nur, wann ich mich dem stelle. Und dann kam auch hier die perfekte Möglichkeit, der richtige Moment. Zack. Jetzt.

Ich bin komplett müde und erschöpft. Aber ich lächle. Und trinke Kaffee.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Mel

    …so schön!!! Deine Worte kommen wie immer genau richtig. Danke!

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