Vom Mut, verletzlich zu sein

Mit den Erinnerungen ist das ja so eine Sache. Wenn jemand immer wieder erzählt, was man gemeinsam erlebt hat, glaubt man das irgendwann. Vor allem, wenn man selbst keine anderen Erinnerungen vorzuweisen hat, nicht sagen kann: “Stimmt ja gar nicht, das war ja so und so.” Bei mir ist das so. An einen großen Zeitrahmen in meinem Leben – so von 8 – 13 Jahren fehlen mir so gut wie alle Erinnerungen. Da sind ein paar helle Flecken, aber ich weiß in Wahrheit wenig von meinem Leben damals.

Wenn dann aber jemand daherkommt aus dieser Zeit und die hellen Flecken etwas klarer putzt, ein paar neue hinzufügt, dann ist da schnell eine Verbundenheit. Mischen sich Witz und Aufregung hinzu, gibt das eine explosive Mischung, die sich trotz großer Distanzen sehr aufschaukeln kann. Irgendwie ist das menschlich und doch surreal. Wir können mit Menschen, die so weit weg sind, so anders ticken als wir, die so ein komplett anderes Leben führen, manchmal leichter und lockerer eine Beziehung führen, als mit denen, die täglich um uns sind. Vielleicht ist bei der Distanz immer das Weglaufen eine Möglichkeit, die jederzeit im Raum steht. Es gibt keine alltäglichen Verpflichtungen und schon gar kein du musst. Wie wunderbar kann man sich in solche Zwischenmenschlichkeit fallen lassen.

Vielleicht ist auch zwischen der Vertrautheit und Nähe trotz Distanz etwas entstanden, was vorher nicht da war, was man sich immer gewünscht hat. Etwas, was entstehen konnte, weil alles Schwere nicht darauf fallen kann. Was leichter aufzuschreiben ist, als im Gespräch direkt. Etwas, was vielleicht auch einfach nur im Kopf einer (oder beider) Personen existiert, ohne ausgesprochen werden zu müssen. Denn in Wahrheit töpfern sich hier zwei Menschen eine Beziehung zurecht, die jede und jeder anders definieren kann. Das kann ja keiner überprüfen, denn das klare “Wir sind jetzt zusammen” ist es nicht. Dafür ist da zu viel Distanz. Zu wenig Kontakt. Aber für Freundschaft ist es zu viel.

Verletzlich macht man sich dennoch. Vielleicht ist es dumm, das zu tun. Natürlich gibt es Menschen, die genug Distanz wahren können. Die sich nicht (so leicht) verletzen. Ich gehöre zu den anderen Menschen. Ich bin in vielen Dingen schnell “all in”. Und damit stolpere ich. Immer wieder. Auch in diesem Fall. Die letzte Bruchlandung war hart. Die Erkenntnisse schwer. Sie haben viel in mir aufgewühlt. Die Frage nach dem “Was will ich und was will ich wirklich?” jeden Tag aufs neue verrührt und verquirlt. Dafür brauche ich Rückzug, Stille, in mich selbst verkriechen. Ich brauche die Wut auf den anderen, ich muss toben und all die Fragen, die aufgewühlt sind, dreizehnmal im Kreis drehen. Dabei laut fluchen und natürlich auch… Tränen vergießen. Und vor allem: Bei mir wieder ankommen. Mich selbst wieder spüren. Bis die Antworten kommen.

Die Antwort ist: Ich will Nähe. Ich will. Witz. Ich will Abenteuer. Vielleicht auch dieses “Wollen”, von dem ich neulich schrieb. Ich will Spannung. Ich will Leidenschaft, und die ist da nicht drin, in dieser Rechnung. Deshalb wird es eine Ungleichung.

Ungleichungen sind ja dennoch lösbar. Vielleicht muss dafür mehr von dem anderen rein. Vom Zauber. Von der Aufregung. Wobei ein Auto ohne Öl auch mit mehr Benzin irgendwann dennoch den Motor festfährt. Hab ich auch schon gehabt. Mit meinem Auto einst. Und auch mit anderen (echten) Beziehungen.

So ist im Grunde alles ein Spiel. Das ganze Leben. Und wir können auch das Auto gegen den Baum fahren, bevor das fehlende Öl den Motor hinrichtet. Was wir immer brauchen ist Mut. Mut macht verletzlich und wir sind wieder am selben Punkt. Aber wenn wir den Mut haben, uns verletzlich zu machen, dann, nur dann, kann es auch den Zauber geben. Oder?

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